Interview mit Initiatorin Marina Proksch – Park
Wie und wann ist das Fotoprojekt Flugkraft entstanden?
Anfang 2013 fotografierte ich das krebskranke Kind meiner Freundin. Für die Familie war es total wichtig, aus dieser Zeit Fotos zu haben. Kurzerhand beschloss ich das auch anderen betroffenen Familien zu schenken.
Was hat Sie motiviert, dieses Projekt zu beginnen?
Ich bin mit ehrenamtlicher Arbeit aufgewachsen und habe überhaupt nicht darüber nachgedacht, was das bedeutet. Meine Mama hat 1996 einen Verein zur Hilfe leukämiekranker Kinder mit meinen Tanten zusammen gegründet und da waren wir Kinder bei jeder Typisierungsaktion dabei. 15 Jahre lang habe ich dort auch im Vorstand ehrenamtlich geholfen. Bei der Gründung von Flugkraft wollte ich meiner Arbeit einfach nur einen Namen geben. Das sich so viele Familien melden, damit habe ich gar nicht gerechnet. Alles was ich möglich machen konnte, habe ich möglich gemacht. Ich wollte den Familien helfen. Die Fotos mussten in die Öffentlichkeit, damit die Menschen nicht mehr ausgegrenzt werden. 2013 gab es in den Medien diese Fotos von krebskranken Menschen noch nicht, nur vielleicht mit Mundschutz oder am Tropf. Lachende krebskranke Kinder, die spielen und das Leben genießen, das hat begeistert! Das hat den Stein ins Rollen gebracht. Flugkraft holte das Thema Krebs aus der „Tabuschublade“.
Wie war die Entwicklung von Flugkraft, können Sie ein wenig darüber berichten?
Jede Sekunde meiner Freizeit habe ich in dieses Projekt gesteckt, habe Familien besucht, nächtelang Fotos bearbeitet, prominente Supporter angeschrieben, hunderte Emails von Betroffenen beantwortet, telefoniert und organisiert. Alles allein. Durch die Fotos wurde Flugkraft plötzlich ganz bekannt. Sowas gab es bundesweit kein zweites Mal! Ich fuhr zu Familien mit krebskranken Kindern in ganz Norddeutschland und nahm mir die Zeit ihnen zuzuhören. Bei manchen Familien machte ich Fotos, bei anderen saßen wir nach dem Fotografieren einfach nur da und weinten. Meine Arbeit ging über das normale „Fotos machen“ hinaus. Ich spielte mit den Kindern, half im Haushalt und wurde zu Kindergeburtagen eingeladen. Dadurch das ich bei den Familien „vor Ort“ war und wusste, wie die Familienverhältnisse waren, konnte ich einschätzen, wo es fehlt. Gerade die Familien die nichts hatten, wollten kaum Hilfe. Da hatten die Kinder zu kleine Klamotten an, die Tapeten fielen von der Wand oder der Rasen stand kniehoch. Sie waren einfach nur dankbar. Ich schickte ein Team zum Rasenmähen oder zum Renovieren. Andere schickten wir Pakete mit Klamotten und wir kauften Gutscheine, wofür die Familien Essen und Schulsachen kaufen konnten. Ganz individuell und diskret. Andere Familien sind einfach nur dankbar, dass jemand da ist und sich Zeit nimmt und diese wichtigen Fotos für sie macht. Eine Fotografin die zu einem nach Hause kommt. Die nicht umkippt, wenn das kranke Kind sich dauernd übergibt oder wenn ein Kind etwas mehr Aufmerksamkeit braucht und nur weint. Ich kenne das und plane das mit ein. Ich kann Termine auch flexibel verschieben, denn es passiert oft, dass es einem Familienmitglied plötzlich nicht gut geht. Das ist Flugkraft und das mussten wir erhalten! Es geht nicht mehr nur um Fotos, sondern darum, Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht allein sind und um professionelle Hilfe.
Um diese Idee zu schützen haben wir 2015 eine gemeinnützige Gesellschaft gegründet. Aber nicht um Profit zu machen (das dürfen wir auch gar nicht), sondern um den Menschen professioneller helfen zu können. Mit 4 Gesellschaftern und einem tollem Team können wir nun bundesweit tagtäglich Flugkraft versprühen. Auch viele Prominente und Ärzte unterstützen uns.
Inzwischen hat die Facebook-Seite von Flugkraft über 50.000 Likes – haben Sie mit einer so großen Resonanz gerechnet?
Nein, am Anfang wollte ich den betroffenen Familien einfach nur Fotos als Erinnerung zur Verarbeitung ihres Schicksals schenken. Was die Fotos aber wirklich in den Menschen auslösen, was Flugkraft den Menschen auch als Wort bedeutet und das sich sogar Prominente für meine Arbeit interessieren, da hätte ich im Leben nicht mit gerechnet, auch das mir so viele tolle motivierte Menschen täglich bei meiner Arbeit helfen. Ohne die ehrenamtlichen Helfer, wäre Flugkraft nicht das, was es heute ist.
Sie besuchen Familien und fotografieren krebskranke Kinder in ihrer privaten Umgebung – wie entstehen die Kontakte zu den Familien?
Die Familien melden sich bei uns per Mail oder rufen einfach an. Wir machen dann einen Termin und ich fahre dann zu denen nach Hause, ins Hospiz oder wohin auch immer und dort reden wir, spielen ein wenig und ich mache aus der Situation heraus Fotos. Die Fotos sollen natürlich wirken und den Familien später zeigen, dass nicht alles nur schlecht war zu der Zeit.
Und wie würden Sie die Motivation der beteiligten Eltern und Kinder beschreiben – warum machen sie mit, welche Wünsche und Hoffnungen sind bei den Familien mit den Fotoshootings verbunden?
Die Familien möchten mit den Fotos hauptsächlich zeigen „Hallo, wir sind noch da“ denn betroffene Familien werden oft ausgegrenzt. Man weiß nicht, wie man mit ihnen umgehen soll, man möchte nichts Falsches sagen, dann sagt man lieber gar nichts. Das ist grundverkehrt! Sie möchten normal behandelt werden. Für sie hat sich etwas geändert, dass ist klar, aber trotzdem sind sie noch die Alten und eine ganz normale Familie, die versucht ihren Alltag zu meistern. Darum ist für die meisten Familien auch wichtig, dass ich über sie auf meiner Facebook Seite berichte. Das Feedback der Menschen gibt ihnen die Kraft weiter zu kämpfen.
Wie reagieren die Kinder vor der Kamera – eher scheu und zurückhaltend oder machen sie von Anfang an engagiert mit?
Ich bringe den Kindern immer Geschenke mit, die wir von den Spendengeldern kaufen, nach den Wünschen, die mir die Eltern im Vorfeld mitteilen, auch den Geschwisterkindern, da sie hinter dem kranken Kind oft zurückstecken müssen. Durch die Geschenke, auch durch unseren Flugkraft Teddy Freddy, mögen mich die Kinder direkt und wir puzzeln, spielen Fußball oder bauen Lego. Ich versuche nur zwischendurch Fotos zu machen und komandiere die Kinder nicht. Sie machen was sie möchten. Oft sind es die Eltern die dirigieren.
Und was ist mit den Eltern – dürfen die mit aufs Foto oder sollen immer nur die Kinder fotografiert werden?
Ich fotografiere die ganze Familie. Gerade die Geschwisterkinder brauchen viel Aufmerksamkeit. Da drehe ich der großen Schwester wohl mal Lockenwickler in die Haare und lobe sie besonders. Manchmal sind auch Oma und Opa mit dabei oder der beste Freund. Das ist alles kein Problem ich bin da total flexibel.
Was war bisher das bewegendste Erlebnis für Sie persönlich?
Für mich ist jeder Besuch bewegend. Vorher bin ich sehr nervös. Ich werde überall herzlich empfangen, aber trotzdem sind es immer wieder fremde Menschen die ein schweres Schicksal zu tragen haben. Wenn ich vor Ort bin, ist alles gut und wenn ich zurück fahre vergieße ich wohl mal die ein oder andere Träne. Die Eltern erzählen mir ihre komplette Geschichte zeigen mir Fotos, Videos. Für sie ist es sehr wichtig auch mal mit jemanden Aussenstehen darüber zu reden, um mal alles los zu werden. Das kann auch für mich sehr belastend werden. Aber Dank meiner Familie und meinen Team werde ich immer gut aufgefangen und kann darüber reden. Wenn die Eltern mir dann am Telefon berichten, wie wundervoll und wichtig sie die Fotos finden und wie viel es ihnen bedeutet, ist es jede Sekunde wert, die ich in dieses Projekt stecke. Flugkraft gibt ihnen Halt.
Wie lange dauert die Fotobearbeitung? Wieviel Zeit stecken sie nach so einem Shootingtag in die Nachbearbeitung?
Meistens warte ich 2 Wochen, bevor ich mir die Bilder wieder vornehme, denn auch ich muss die Geschichten, die Videos usw. der Familie erst verarbeiten können. Manche Fotos sind ganz schön krass. Mein Schreibtisch steht im Wohnzimmer, so kann ich abends, wenn die Kinder im Bett sind mit meinem Mann ein Glas Wein trinken und trotzdem weiterarbeiten. Ich schaue erst alle Fotos durch und dann noch einmal, um die Schönsten herauszufiltern. Pro Shootingtag sind das an die 500 Fotos, die gesichtet werden müssen. Die Besten speichere ich dann extra ab und fange dann erst an zu bearbeiten. Die Familien bekommen dann zwischen 15 und 30 Fotos ungefähr.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Wie geht es weiter mit dem Flugkraft-Projekt?
Es sind weiterhin verschiedene Workshops geplant und Foto – Ausstellungen, Vorträge in Schulen und Messestände. Ideen haben wir genug … es fehlt oft einfach nur an Zeit!
Wie finanziert sich das ganze Projekt?
Wir sammeln Spenden und verkaufen tolle Dinge die wir inkl. Extraportion Flugkraft verkaufen. Mit den Spenden die wir von Firmen oder Privatpersonen bekommen, kaufen wir Spielsachen, zahlen Wünsche, Beerdigungen und helfen den Betroffenen wo wir können. Handarbeitsvereine schicken uns Mützen und andere tolle Sachen aber auch Geschenke für die Kinder bekommen wir ab und zu zugeschickt. Die Familien bekommen von uns kein Bargeld, sondern immer Dinge, die sie auch gebrauchen können.
Von den Spenden bekommen die Betroffenen dann auch diese besonderen Fotos kostenlos aber auch finanzielle Hilfe wenn es nötig ist. Auch die Workshops und Kosmetikprodukte werden damit finanziert. Für uns ist es sehr wichtig, das die Betroffenen absolut gar nichts zahlen müssen. Besondere Momente und Wunscherfüllungen sind für die Heilung und Verarbeitung sehr wichtig. Wir verschicken auch außerhalb Deutschlands Flugkraft Pakete an die kranken Menschen, die wir leider nicht besuchen können. In diesen Paketen sind schöne Geschenke für die ganze Familie + die Armbänder die die Betroffenen gar nicht wieder abnehmen und besonders zur Chemotherapie tragen. Flugkraft ist nicht mehr nur ein Fotoprojekt. Flugkraft gibt den Menschen ein Gefühl alles schaffen zu können! Sie sind keine Opfer, sondern Helden!
Wie sind Sie auf den Namen gekommen?
Ich wollte etwas kraftvolles. Flugkraft war das erste Wort, das mir einfiel und da es das Wort laut Google noch nicht gab, stand es direkt fest. Darum habe ich im Logo auch den Adler gewählt. Er strahlt soviel Kraft aus. Mir war auch wichtig das der Adler in dem Logo nicht lacht. Das ist nach wie vor ein ernstes Thema. Wir kämpfen mit ganz viel FLUGKRAFT gegen den Krebs, das darf man nicht vergessen. Mit den Fotos bekommen wir die Aufmerksamkeit, die wir benötigen, um die Menschen wachzurütteln.
Persönliches
Füße im Sand. Kopf in den Wolken. Oktoberblut. 1978. waschechte Ostfriesin. Sommersprossen. von Ostrhauderfehn über Leer, Saterland ins Friesland. angekommen! verliebt. verlobt. verheiratet. FAMILIE. Traumhaus. Strandkorb. grüngestrichene Gartenbank. London. Berlin. Paris. Chaosmensch. MEERVERLIEBT. Musik an. Balancieren auf dem Tellerrand. Beachmagnet. Festivalhopper. Sonne. Polaroidbildbepusterin. T3. Wind. Springen über Steine und fliegen über Mauern. Ankermädchen. Herbstlaub. Akustik-Gitarre. Muschelsammlerin. Acryl. Vinyl. Küstenkind. Schreiberling. Stativselfiistin. Klavier. Leseratte. still. artig. nervös. bunt. Trampolinerin. Teilzeitinsulanerin. Konzertjunkie. verwachsen mit einer Canon 5D Mark ii/50 mm 1.4. verplant. ungeduldig. autodidakt. detailverliebt. GLÜCKLICH!
Danke für das Lesen, Danke für die Unterstützung, Danke für das „nicht wegsehen“ …